30 April, 2012

Hot April News 2012

Eigentlich kommt Giantree wie eine 1980er-Synthie-Band daher - ja, Human League war natürlich Klasse, haben wir auch gehört! Dare!! -, die statt zu den Tasteninstrumenten zur Gitarre greift. Die Songs sind blitzsauber gemacht, fast schon zu brav - vielleicht will sich deshalb keiner der 12 Songs in den tieferen Schichten des Gehirns ablagern und ins Langzeitgedächtnis hinüber wandern. Trotzdem: Ein ordentliches Debüt.
Ebenfalls um ein Debüt, wenngleich ganz anders gelagert, handelt es sich bei "Streets Of Dom Songs" von Dominik Nostitz: Der legt nach mehreren Jahren des Tingelns und gleichzeitigen Bastelns eine CD vor, die vor Spielfreude nur so sprüht. Hier hat schlicht alles Platz: Von Indie- bis World- und Jazzeinflüssen. Mit dabei ist auch der großartige Trompeter Franz Hautzinger oder der Throat-Musiker Helge Hinteregger. Eine CD zum Eintauchen in das musikalische Universum eines Mannes, der halb Europa auch als Straßenmusiker kennen gelernt hat. Insbesondere zu loben ist das großartige Artwork, das auch ein 28 (!) Seiten starkes Booklet bereit hält.
Ganz anders verhält es sich bei der nächsten CD, auch wenn es eine Gemeinsamkeit gibt: "Tonight" stammt ebenfalls von einem Österreicher, nämlich von Florian Horwath. Der hat sich Element Of Crime-Man Sven Regener als Produzenten gehotl und ein nach Indie-Wohnzimmer klingendes Album aufgenommen, mit ein paar fein gedrechselten Songs drauf. In letzter Zeit hat Horwath eine Reihe von Wohnzimmerkonzerten gegeben - falls es also mal an Ihrer Türe läutet und ein Wuschelkopf mit Gitarre hat die Klingel gedrückt, dann steht die Show unmittelbar bevor.
Und noch einmal Österreich, auch wenn man das bei dieser Band gar nicht vermuten würde: Plexus Solaire steht seit Jahren für in französischer Sprache gesungene Popmusik, made in Austria. Die vorliegende Doppel-CD kann als Werkschau bezeichnet werden und zeigt schlicht eine der besten Band des Landes. Gut gemacht.
Nun wird es aber endgültig international, wir beginnen im Norden Europas: Die Spaßmacher von Eläkeläiset haben wieder zugeschlagen und legen mit "Humppasheikkailu" ihr zirka fünfundzwanzigstes Album vor - solange das so unterhaltsam bleibt, dann nur her damit. Denn wieder werden Pophits durch die Humppa-Mangel gedreht und so in die Eläkeläiset-Welt geholt. Mit der höher werdenden Anzahl an Alben wird das Mitraten immer schwieriger und zum abendfüllenden Gesellschaftsspiel zwischen Rovaniemi und Rom - wann kommt endlich das entsprechende Brettspiel?
Weiter Richtung Westen: Gemma Hayes gilt als eine der besten Sängerinnen Irlands, ihre CD "Let It Break" ist nun auch bei uns erhältlich. Die Lieder haben Qualitäten, die oben schon kritisiert worden sind: Sie verfügen über Dringlichkeit, gepaart mit Ohrwurmcharakter und sorgfältiger Verarbeitung ergibt das eine Pop-Variante, auf die man sich nur zu gerne einlässt und die mit "That Sky Again" sogar einen Pop-Walzer enthält und sich überhaupt neben allem Pop-Appeal auch ruhige Momente leistet. "I'll miss you in the corner of the day" - nur eine dieser schönen Zeilen von Gemma Hayes, deren CD man nur ausdrücklich empfehlen kann.
Die Überraschung des Monats liefert eine Sängerin, mit der niemand mehr gerechnet hat: Penelope Houston! Sie ist mit der großartigen CD "On Market Street" wieder zurück, zu lange war von ihr nichts mehr zu hören. Das - ja man darf es sagen, ohne zu beleidigen -, ausgereifte Alterswerk besticht durch wunderbares Songwriting und durch die schlichte wie elegante Produktion. Das im Zentrum der Scheibe stehende Lied "Dead Girl" erzählt davon, dass man sich auch in das Mädchen auf einem Foto verlieben kann. Bei Houston ist alles am rechten Platz und wenn die Lieder ins Moll kippen, dann ist es, als wäre es noch Mitte der 1980er-Jahre - das ergibt abschließend völlig zu Recht die Höchstnote. Houstons erste Alben gelten übrigens noch immer und seien an dieser Stelle empfohlen, im ausgesuchten Second-Hand-Handel (http://www.heurekord.com/store) findet man sie gar noch auf Vinyl. (jpl)

Eläkeläiset: "Humppasheikkailu" (Stupido/Nordic Notes, 8/10)
Giantree: "We All Yell" (monkey, 6/10)
Gemma Hayes: "Let It Break" (Fullfill, 9/10)
Florian Horwath: "Tonight" (Stereodeluxe, 7/10)
Penelope Houston: "On Market Street" (Glitterhouse/Hoanzl, 10/10)
Dominik Nostitz: "Streets Of Dom Songs" (Label08/Pate, 8/10)
Plexus Solaire: "Plexus Solaire" (monkey, 7/10)

02 April, 2012

The More Or The Less: 11.4. Shelter (CD-Präsentation)

Wenn man mitten in eines der schwersten Erdbeben der Geschichte gerät – kann man dann noch irgendwie von Glück sprechen? Natürlich, sagt Tobias Pötzelsberger. Denn er ist am Leben. Er wurde im Schlaf überrascht, am 27. Februar 2010 in Santiago de Chile. Erst war da nur ein dumpfes Grollen. Dann setzte das Beben ein und die Wände zerbrachen. „Oh, Santiago“, der Eröffnungssong auf KEEP CALM, handelt von diesen Minuten in Chile und beginnt ganz ähnlich wie das Beben: Langsam steigert sich ein Geräusch bis zum großen Knall, die Gitarren setzen mit heftigen Schlägen ein und Pötzelsberger bekennt – die Angst ist immer noch da.

So ein Donnern, so viel Rock: Das kannte man bisher nicht von The More Or The Less. Überhaupt ist einiges anders auf KEEP CALM. War das Debüt „We, the people“ (2009) noch ein inwendiges und zartes Werk, so ist der Nachfolger deutlich lauter, selbstbewusster und vielseitiger. Nach wie vor gibt es feine Akustik-Perlen („Show me where your heart is“, „Odyssey“). Aber da ist auch noch viel anderes: Mehr Band, mehr Klangfarben, mehr Varianten. Es ist ein Album der großen Gesten und breiten Sounds. Und mittendrin steht weiterhin die ewige Suche nach der weltumspannenden Melodie. „I won’t let you down“ ist so ein Beispiel dafür, mit einem Refrain im Cinemascope-Format. Oder Mr. Undertaker, in dem Pötzelsberger sein Verhältnis mit dem Totengräber diskutiert und wieder so einen wunderbaren Chorus hinlegt. Und – natürlich – „The Best“, der Abschlusssong. Herrlich, wie sich das Arrangement steigert von banalen Akustikgitarren zu einem furiosen Finale gemacht aus einem schweren Donnerwetter. Von Elliott Smith über Feist und Ron Sexsmith bis zu den Weakerthans – hier lassen nur die besten Einflüsse aus der Indie- und Folk-Welt grüßen. Zu verdanken sind diese neuen Ansätze auch der Band, die jetzt hinter Tobias Pötzelsberger steht, nämlich Frank Wendtner (Piano), Hannes Gappmaier (Schlagzeug) und Martin Mörth (Bass). Gemeinsam haben die Musiker im heimatlichen Salzburg zuletzt den heiß begehrten „Heimo-Erbse-Förderpreis“ erhalten.
Inhaltlich dreht sich KEEP CALM um Grundsätze, elementare Ereignisse und Lebensprioritäten. Manchmal steht Tobias Pötzelsberger im hellen Licht und schwärmt von den Dingen, die einem das Herz erwärmen („When we happen to collide“). Und dann handeln die Songs wieder von dunklen Tagen, unerwarteten Hiobsbotschaften, Scheitern. Herausgerissen werden aus allen Träumen und Vorstellungen von der Zukunft („The Best“, „Long live the Queen“) und wundervolle Eindrücke aus unbeschwerten Tagen – auf KEEP CALM treffen sich Gegensätze und Brücken werden geschlagen. Mal mitten im Sturm, mal ganz ruhig in der Sonne. KEEP CALM. Bleib ruhig. Weil immer alles passieren kann.

>> VIDEO ZUR SINGLE
>> www.themoreortheless.com