http://lindorec.blogspot.com is the review section of the music label lindo rec.: http://www.lindo.at
30 Dezember, 2008
Steve Gander: Copulate + Populate (Red Nag Records)
19 Dezember, 2008
Benjamin Skinner: "Menschenhandel" (Lübbe)
27 Millionen Menschen sind nach Schätzungen des internationalen Sklavereiexperten Kevin Bales heute von modernen Formen von Sklaverei betroffen - sie schuften in Schuldknechtschaft, werden gezwungen und ausgebeutet und oftmals mittels Scheinverträgen in die Falle der Sklaverei gelockt. 27 Millionen Menschen - das ist mehr als beim transatlantischen Sklavenhandel zwischen Afrika und Lateinamerika ab dem Ende des 15. Jahrhunderts. Mit Menschenhandel werden jährlich rund 27 Milliarden Euro verdient - mehr als mit Drogen oder Waffen.
Wien, Haiti, New York City
Sklaven gibt es heute in der ganzen Welt, in Europa genauso wie in den Vereinigten von Amerika, in Wien wie New York City: Dort arbeitet der Journalist Benjamin Skinner, der sich 5 Jahre lang auf die Suche nach dem heutigen Menschenhandel gemacht hat: Seine erste Station ist dabei Haiti, dort spricht er mit einem Sklavenhändler auf Haiti, für einen Ausländer kostet ein Mensch 100 Euro. Nach kurzen Verhandlungen steht der Preis bei 50 Euro. Skinner begibt sich nach Südost-Europa, nach Rumänien und Moldawien, einem der Zentren europäischer Sexsklavinnen.
1 Mensch: 50 US-Dollars...
Haiti liegt 5 Reisestunden südlich von New York City und 2 von Miami Beach entfernt, ähnliches lässt sich von Zentraleuropa aus gesehen auch für Moldawien konstatieren. In den U.S.A. hat Bill Clinton im Jahr 2000 immerhin eine Deklaration unterzeichnet mittels der sich die U.S.A. dem Kampf gegen Sklaverei offiziell verschreiben. Freilich gibt es nach wie vor auch in den U.S.A. Sklaven: Auf den Feldern Kaliforniens, genauso wie in der U-Bahn in New York, wo blinde MexikanerInnen dazu gezwungen werden billigen Modeschmuck zu verkaufen.
Sorgfältige Reportage
Das Buch ist mehr als 400 Seiten stark und liest sich trotz der daraus zu erwartenden Schwere wie eine spannende Reportage. Skinner arbeitet journalistisch sorgfältig und liefert beste Arbeit ab. Er zeigt nachdrücklich, dass Sklaverei kein Phänomen der Vergangenheit ist. Sklaverei ist Gegenwart - und trotz mehrerer Deklarationen und der offiziellen Abschaffung in eigentlich allen Ländern der Welt (in Mauretanien im Jahr 1980) gibt es heute weltweit mehr Sklaven als je zuvor. Benjamin Skinner belegt dies mit seinem Buch "Menschenhandel" auf beeindruckende und erschütternde Weise. (jpl)
Benjamin Skinner: "Menschenhandel" (Gustav Lübbe: Bergisch Gladbach: 2008)
>> www.luebbe.de
Tim Krohn: "Warum die Erde rund ist" (Eichborn)
Schöpfungsmythen erzählen, wie die Welt so geworden ist, wie sie heute ist. Egal ob Maori (Neuseeland), Mande (Afrika) oder Yuma-Sioux (Nordamerika): Indigene Gruppen auf der ganzen Welt haben ihre eigenen Mythen zur Entstehung der Welt. Wie die Ainu (Japan) sich die Erschaffung der Welt vorstellen, erzählt Krohn so nach: "Am Anfang war die Welt ein verschlammter Tümpel, alles war kalt, verlassen, nichts regte sich. Dann formte der Erfinder eine Bachstelze, damit sie hinunterflog und die Erde machte."
Lesebuch, nicht nur für Kinder
111 dieser Erzählungen hat der in Nordrhein-Westfalen geborene und in der Schweiz aufgewachsene Autor Tim Krohn gesammelt und im vorliegenden Band neu erzählt. Krohn bedient sich dabei zweier Figuren - Elisa und Annina -, die er selbst kreiert. Den beiden werden die Mythen gleichsam vorgelesen, sie kommentieren diese und führen sie auch gleichsam in ihre eigene Realität über. So hat Krohn ein Lesebuch geschaffen, dass nicht nur in die Adventzeit passt, sondern das ganze Jahr hindurch der geeignete Vorlesestoff für Kinder ist.
Schweizer Märchen und Schöpfungsmythen
Das Buch wurde von Kat Menschik schön illustriert, in einfachen und klaren - an Holzstiche erinnernde - Zeichnungen, verpackt ist es in einem bunten Hardcover. Vor den Schöpfungsmythen der Welt hat sich Krohn mit Schweizer Märchen beschäftigt und diese nacherzählt - dieses Buch war in der Schweiz ein Bestseller und wurde auch in Bühnen- und Hörfassungen umgesetzt. (jpl)
Tim Krohn: "Warum die Erde rund ist. 111 Schöpfungsmythen, gesammelt und neu erzählt von Tim Krohn, illustriert von Kat Menschik." 188 Seiten. (Eichborn: Frankfurt am Main: 2008), €16,95
10 Dezember, 2008
Heather Nova: The Jasmine Flower (Sony)
01 Dezember, 2008
Ólafur Arnalds: Variations Of Static (Brased Tapes Records)
27 November, 2008
Franz Kafka: Die Verwandlung (dtv)
Der Originaltext von "Die Verwandlung" wurde erstmals im Jahr 1915 in Leipzig verlegt und damals auf 1916 vordatiert. Schon der erste Satz der Erzählung ist berühmt: "Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt." Die Geschichte ist zwar bekannt, wie Woody Allen aber einmal gesagt hat, lässt sich in den Klassikern immer wieder Neues entdecken. Insofern ist auch die wiederholte Lektüre von Die Verwandlung zu empfehlen. Kafka schrieb einst in einem Brief, er wäre mit dem Schluss von "Die Verwandlung" nicht ganz zufrieden.
Aufwändige Neuauflage
Insbesondere in der nun vorliegenden aufwändigen Neuauflage in der dtv-Bibliothek der Erstausgaben, die bisher rund 70 Titel versammelt: Klassiker von Adalbert Stifter und Theodor Storm bis Kurt Tucholsky und Arthur Schnitzler. Außerdem: Goethe, Hölderlin, Storm, Fontane, Grillparzer, Büchner, Brentano, Kleist, Rilke, Schiller etc. In den gebundenen Büchern mit Silberprägung ist neben dem Originaltext jeweils ein umfangreicher Anhang zur Textgestalt enthalten. Die Zeittafel gibt einen Überblick zum Leben des Autors, ein Glossar ist ebenfalls inkludiert.
Sieben Verfilmungen
Übrigens: Schon beim Lesen von "Die Verwandlung" erfährt man, dass anno 1915 Sofa so geschrieben wurde: Sopha. An seinen Verleger Kurt Wolff hat Kafka damals - zu Recht - geschrieben: "Das Insekt kann nicht gezeichnet werden". Das Insekt, in das sich Gregor Samsa verwandelt, sollte nur in der Fantasie der LeserInnen bestehen. Die Erst- wie die Neuauflage enthalten auch keinerlei Umschlagzeichnungen, aber "Die Verwandlung" wurde inzwischen sieben Mal verfilmt. (jpl)
Franz Kafka: "Die Verwandlung" (dtv: München: 2008), 119 Seiten, €9,90
>> www.dtv.de
13 November, 2008
Eläkeläiset: Humppa United (Humpaa, Indigo)
08 November, 2008
Leo Perutz: Der Meister des Jüngsten Tages (dtv)
Den Qualitätszugang zum Genre Krimi ermöglicht der österreichische Autor Leo Perutz mit “Der Meister des Jüngsten Tages“ aus dem Jahr 1923. Ein Buch, das für Perutz den Durchbruch als Autor bedeutet hat.
Doch der Reihe nach; der Plot ist schnell erzählt: In Wien geschehen mehrere mysteriöse Todesfälle. Sind es Morde? Oder werden Menschen auf unbekannte Weise in den Selbstmord getrieben? Eines der Opfer stammelt als letzte Worte etwas vom “Der Meister des Jüngsten Tages“. Auch der Schauspieler Eugen Bischoff kommt auf tragische Weise ums Leben – sein in diesem Moment im Haus versammelter Freundeskreis macht sich sodann auf die Suche nach des Rätsels Lösung. Um die Spannung des Buches zu erhalten, sei sie an dieser Stelle nicht verraten.
Spannung bis zum Schluss und Lokalkolorit
Perutz erzählt die Story sehr flüssig und mit leichter Hand. Langeweile kommt auf den knapp 200 Seiten nie auf. Gerne taucht man in das Wien des Jahres 1909 ein; Perutz Figuren – u.a. Doktoren, Ingenieure und Barone – verfügen in ihren Wohnung über Bibliotheken, lassen einander Nachrichten zukommen, machen miteinander Kammermusik und fahren auf Sommerfrische. Noch vor dem Dritten Mann verfügt “Der Meister des Jüngsten Tages“ über Lokalkolorit: Perutz erzählt von einer Apotheke in der Myrthengasse, die es heute nicht mehr gibt und von anderen noch bestehenden Gassen und Plätzen der Innenstadtbezirke.
Die Neuauflage bei dtv bietet die Gelegenheit das Hauptwerk eines Autors wieder zu entdecken, von dem Walter Benjamin die “kräftig rhythmisierten und synkopierten Erzählungen“ lobte. Jose Luis Borges hat “Der Meister des Jüngsten Tages“ einst zu Recht in eine Edition der besten Kriminalromane des 20. Jahrhunderts aufgenommen. (jpl)
Leo Perutz: “Der Meister des Jüngsten Tages“ (dtv: Müchen: 2008)
205 Seiten, €9,50
>> www.dtv.de
07 November, 2008
Kontrastprogramm: Sensenberg Feeling (Eigenverlag)
05 November, 2008
Sylke Tempel: Israel (rowohlt)
Sylke Tempel ist eine Wissende: Acht Jahre lang hat sie für deutschsprachige Medien aus Israel berichtet. Ihr Reisebuch "Reise durch ein neues altes Land" beschäftigt sich natürlich auch mit den politischen Gegebenheiten der Region - diese auszuklammern wäre in einem Buch über Israel vermutlich gar nicht möglich und schlicht Realitätsverweigerung. Doch sie beschreibt Israel abseits der Fernsehrealität von palästinensischen Selbstmordattentätern und radikalen jüdischen Siedlern. Tempel hat sich über die Jahre eine der wichtigsten journalistischen Grundtugenden erhalten: Neugier. So schreibt sie, dass sie viele ihrer im Buch dargestellten GesprächspartnerInnen zufällig getroffen hat. Auf Märkten in Jerusalem, in Restaurants in Tel Aviv, an einer Straßenkreuzung irgendwo zwischen Hebron und Jerusalem. Sie erzählt von alteuropäischen Auswanderer, doch die werden immer weniger. Israel ist seit seiner Gründung ein Einwanderungsland, früher insbesondere für Juden aus aller Welt, heute kommen auch Nicht-Gläubige Einwanderer ins Land: Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs sind rund 400.000 OsteuropäerInnen hierher gekommen, vor allem aus der ehemaligen Sowjetunion.
Einwanderungsland und High-Tech
Sie sind Teil jener neuen Generation Israels, die sich nicht um politische und religiöse Konflikte kümmern will, sondern einfach ein gutes Leben führen will. Fuhren in den 1980er-Jahren noch hauptsächlich Autos der Marke Polski Fiat durch die Straßen, sieht man heute alle westlichen Marken. Israel ist inzwischen zu einem High-Tech-Land geworden, das sich stark entwickelt hat und gleichzeitig über eine der schlagkräftigsten Armeen der Welt verfügt.
Tempel beschreibt bewusst auch diese sich wandelnde Seite Israels - von ehemaligen Soldaten, die eine Friedens-NGO gründen; von der Leichtlebigkeit Tel Avivs und der Enge Jerusalems - und von der Bedrücktheit des Lebens in den besetzten Gebieten. Sie beschreibt die Arbeit der israelischen SoldatInnen, die in den Palästinenser-Gebieten auf der Suche nach Selbstmordattentätern auch mal mitten in der Nacht in Häuser eindringen und neben geschockten Kindern junge Männern verhaften. Im Anhang hat die Autorin eine Zeittafel integriert, die die historischen Zusammenhänge noch einmal klar machen. Ein lesenswertes Buch - das im Jahr 60 des Bestehens von Israel interessante Einblicke gibt: In ein neues altes Land. (jpl)
Sylke Tempel: Israel. Reise durch ein neues altes Land. 254 Seiten (rowohlt: Berlin: 2008), €19,90
>> www.rowohlt.de
04 November, 2008
Jules Verne: Von der Erde zum Mond (dtv)
Im Untertitel heisst Vernes Roman aus dem Jahr 1868 »Direktflug in 97 Stunden und 20 Minuten«. Diese Angabe steht programmatisch für das ganze Buch: Denn Verne genügt es hier nicht, sich im Genre Science Fiction zu bewegen. Es scheint, als wollte er die aus damaliger Sicht wohl völlig irreale Vorstellung einer Reise zum Mond durch wissenschaftliche Daten realistischer machen. Verne stellt zunächst die bisher gewonnenen Erkenntnisse über den Mond dar, in bester Science Fiction-Manier geht es in weiterer Folge um die Planung der Mondreise durch einen Zirkel Bostoner Honoratioren: Verne stellt Berechnungen und Überlegungen der Protagonistinnen detailliert dar.
Science & Fiction
Außerdem integriert Jules Verne einen fiktiven Briefwechsel mit der Universität Cambridge in seinen Text, der erklärt, welcher Zeitpunkt im Jahr für die Reise besonders günstig ist. Schliesslich geht es um die Festlegung eines Startort – die Wahl fällt auf Florida, von wo auch real Raketen gestartet sind: In Cape Canaveral. Penibel schildert Verne die Herstellung des Fluggefährtes, eine Art Kapsel, in der auch Reisende Platz finden. Denn als ein abenteuerlustiger Franzose in Florida eintrifft, wird rasch klar, dass es keine unbemannte Reise sein würde. Das überraschende Ende möge jede LeserIn selbst entdecken!
Aufwändige Neuauflage
In der Neuübersetzung von Volker Dehs ist »Von der Erde zum Mond« ein aufwändig aufbereitetes Taschenbuch: Die Originalillustrationen aus dem 19. Jahrhundert sind in den Romantext eingebaut. Sprachlich merkt man dem Buch sein Alter natürlich an, doch Verne vermag auch nach 140 Jahren immer wieder ein Schmunzeln zu erzeugen, etwa wenn er den Guss der riesigen Kanone beschreibt, die die Mondkapsel abschiessen wird. Beim Guss kommt es zu Rauchentwicklung, Verne schreibt: »Wilde, die vielleicht am Horizont herumirrten, hätten glauben können, der Bildung eines neuen Kraters mitten in Florida beizuwohnen...()...« Ein rund einhundert Seiten langer Anhang gibt - ähnlich genau wie Jules Verne die Vorbereitungen zur Reise - literaturwissenschaftliche und bibliographische Hinweise, eine Zeittafel bildet Jules Vernes Leben ab. In dieser nun vorliegenden Ausgabe ist »Von der Erde zum Mond« somit viel mehr eine Neuauflage. Übrigens: Initiator des Mondfluges ist ein Zirkel von Bostoner Honoratioren, der sich Gun Club nennt – von hier hat also Jeffrey Lee Pierce seinen Bandnamen entlehnt! (jpl)
Jules Verne: »Von der Erde zum Mond« (dtv: München: 2008), 350 Seiten, 9,90 Euro
>> www.dtv.de