„Ich habe im Jahr 2022 begonnen, europaweit zu arbeiten, als ich mich mit anderen Festival-OrganisatorInnen vernetzt habe. Alle paar Monate haben wir uns im Video-Chat getroffen und ausgetauscht“, erzählt Christopher Howard-Williams, Vorsitzender der EBMA und einer der OrganisatorInnen des Bluegrass Summit in Prag. Im Mai 2024 – nachdem Christopher und andere die in Auflösung befindliche EBMA gerettet haben – gab es die Idee, einander wieder zu treffen. „Die EBMA hat vor 15 Jahren jährliche Events veranstaltet. Wir haben also gewusst, dass es in Bezug auf Vernetzung und Dynamik Sinn macht, sich regelmäßig zu treffen.“
Panels und Vernetzung
In diversen Panels wurden in Prag Themen wie Konzert- und Tourorganisation, die Vernetzung der Bluegrass-Community oder die Angebote in Bezug auf Workshops und Unterricht in Europa diskutiert. Bei einem der Panels berichtet Signe von der kleinen dänischen Bluegrass-Szene, die in den letzten Jahrzehnten von Recken der Folk-Szene der 1970er-Jahre getragen worden ist. Sie organisiert pro Jahr 10 Konzerte in Kopenhagen und erzählt, dass regelmäßig Jams in Dänemark stattfinden. Auch Herbert aus Ulm ist wegen der Vernetzung nach Prag gekommen, er betreibt in Ulm einen gut laufenden Americana-Club.
Zudem gab es Diskussionen in Kleingruppen, deren Ergebnisse dem Plenum präsentiert worden sind. Live-Musik gab es ebenso zu genießen: 9 Bands aus halb Europa haben den Freitagabend bespielt – ein Highlight waren die zum ersten Mal miteinander auftretenden Kids On Bluegrass Europe.
Das Samstagabend-Programm haben im Dlabačov Kino 2 großartige US-Bands gestaltet: zunächst John Reischman & The Jaybirds mit einem vollen Bluegrass-Set.
Weiter ging es mit den fulminanten Southern Legacy, die sich zwischen Bluegrass, Country und Blues bewegt haben. Am Ende standen beide Bands auf der Bühne und haben miteinander gespielt – großartig! Organisiert hat diesen ergänzenden Teil des Bluegrass Summit die Instrumentenbauer-Familie Čapek, die auch als Sponsor aufgetreten ist und heuer die ersten 40 Jahre ihres Bestehens feiert – noch ein Jubiläum.
Hier ein Bericht im tschechischen Fernsehen zum Summit: Link: Fernsehbeitrag
Doch zurück zu den inhaltlichen Diskussionen am Summit: Lilly Pavlak ist ein alter Hase der europäischen Bluegrass Community. Sie hat einen tschechisch-schweizerischen Hintergrund und über mehrere Jahrzehnte hindurch mit Konzerten, Booking, Bandbetreuung – kurzum mit Musikarbeit – in diesem Genre verbracht. Noch immer ist Lilly ein großer Fan: „Ich überlege, wieder in Tschechien zu leben, weil es hier einfach mehr Bluegrass-Bands, mehr Konzerte und mehr Festivals gibt als in der Schweiz“. Sobald sie in Tschechien ist, besucht sie so viele Konzerte und Festivals wie möglich. Die im Rahmen des Summit andiskutierten Problemlagen kommen ihr alle bekannt vor. Kein Wunder: heute wie früher geht es für MusikerInnen um dieselben Fragen. Etwa: wie komme ich zu Auftritten? Wie organisiere ich eine Tour? Wie mache ich Promo für Band, Tour oder beides?
Bluegrass-Museum in Europa?
„Ich bin wegen des Bluegrass-Museums hier“, sagt Lilly Pavlak, die auch nach Prag gekommen ist, um alte Freunde wieder zu sehen und neue Leute kennen zu lernen. Ihre Kinder könnten ihre angesammelten Objekte zum Thema Bluegrass irgendwann einfach wegwerfen, so Lilly. Deswegen wünscht sie sich ein Museum; vielleicht ja nach dem Vorbild der Bluegrass Music Hall of Fame & Museum, das ist ein Bluegrass-Museum in Owensboro, Kentucky. Das Museum, von dem ein Vertreter in Prag war, verfügt über interaktive Ausstellungen, Poster, Kostüme, Live-Instrumentenvorführungen und die Hall of Fame der International Bluegrass Music Association.
Aus dem Frankenland stammt Thomas Kärner: „Wir sind ein internationales Trio und ich bin der Bassist. Martino Coppo ist ein italienischer Mandolinist und John Lowell stammt aus Montana. Er ist ein Sänger, Songwriter und Gitarrist und ein langjähriger 'Veteran' der Szene.“ Eigentlich wären sie nur die Rhythmus-Sektion einer Bluegrass-Band, sagt Kärner. Daher würden sie nicht immer dem Bluegrass zugeordnet werden. Lowell schreibt viele Songs, die aber mit 3-stimmigen Gesang transportiert werden. Der Bluegrass-Ansatz ist beim Trio von Kärner immer da, ob man zu ihrer Musik Bluegrass oder Americana sagt, ist dem Franken letztlich egal.
Fans beim Summit
Und die Fans, ohne die keine Szene funktionieren würde? Heinrich Heine („Ich schreibe nicht“) ist aus Deutschland nach Prag angereist und ein Fan der Community: „Ich bin seit dem Jahr 1973 Bluegrass-Fan. Früher habe ich immer wieder Festivals besucht, in den letzten Jahren war ich weniger aktiv, das hat sich in den letzten 6 Monaten wieder geändert und jetzt wollte ich mir hier einen Überblick über die europäische Szene verschaffen.“ Zum Bluegrass ist Heinrich über Johnny Cash zur Country-Music gekommen, insbesondere Radio-Sendungen waren für seine Sozialisation in der Szene von Bedeutung, etwa der Sender BFBS (British Forces Broadcasting Service), der für die in Deutschland stationierten britischen SoldatInnen installiert worden ist. BFBS war frei über UKW empfangbar und hat in den 1970er-Jahren oft aktuelle Americana-Bands präsentiert. Ansonsten gab es – wie in Österreich – selten Americana im Radio zu hören: Der Deutschlandfunk, so Heine, hatte alle 2 Wochen eine halbe Stunde Programm dafür eingeplant. Übrigens: rund 10 Prozent der Summit-TeilnehmerInnen waren Fans, etwa 50 Prozent MusikerInnen.
Heinrich Heines Kumpel Jürgen ist ebenfalls nach Prag gekommen, er macht eine wöchentliche Americana-Sendung auf countrymusic24.com mit dem Titel "Quincy's Classic Country Show".Auch der irische Fotograf Ronnie Norton, der das Summit dokumentiert hat, macht eine wöchentliche Radio-Sendung zum Thema Bluegrass auf dem Sender CMR Nashville. Demnächst sind die in etwa 20 Jahren ausgestrahlten rund 1000 Sendungen hoffentlich archiviert und als Podcast abrufbar.
Bluegrass in Europa: Die Zukunft
Ein Denkanstoß und eine kleine Zusammenfassung von Eindrücken eines Außenstehenden sei an dieser Stelle gegenüber allen Musiker:innen und MusikarbeiterInnen im Genre erlaubt: zum Musikerleben – Stars sind ausgenommen – gehört es in der heutigen Zeit dazu, beständig das eigene Netzwerk zu pflegen. Die Website der EBMA bietet in Bezug auf Festivals und Jams jedenfalls einen ersten Überblick.
Um noch mehr für ihre Mitglieder leisten zu können, bräuchte es bei der EBMA ähnlich wie bei der IBMA eine stärkere finanzielle Basis, die täglich an allen Problemlagen arbeitende fixe Angestellte ermöglichen würde. Solange das nicht gegeben ist, wird die EBMA eine Vereinigung von Ehrenamtlichen bleiben, die – und das ist die gute Nachricht – allerdings vom best practice-Beispiel der IBMA lernend, weder das Rad neu erfinden noch Dinge immer wieder neu aus dem Boden stampfen müssten. Eine Handvoll gut geführter Facebook-Seiten könnte wohl bei vielen Fragen (Jams, Konzerte, Locations, Festivals etc.) Abhilfe schaffen.
EBMA Summit 2026?
Die oftmals angesprochene Vernetzung ist in Prag gelungen und war somit jedenfalls eine gute Idee. Ob es – wie in der letzten Feedback-Runde von einem der Tische angedacht bei einem derartigen Treffen wirklich ein Aufnahmestudio, mehr Räume zum Jammen und Workshops zur Basis-Arbeit von Musiker:innen braucht, sei dahingestellt. Wie gesagt: die EBMA kann wohl nicht alles abdecken. Aber träumen ist natürlich erlaubt – und vielleicht entsteht aus diesem ersten Treffen ja irgendwann eine Art Messe mit Showcase-Bühnen, die all das abdecken kann. Ob die kleine Bluegrass-Szene in Europa dafür groß genug ist? Ob es dafür ausreichend Fans gibt? Fragen, die offen bleiben. Somit könnte es im nächsten Jahr erneut ein European Bluegrass Summit geben, vielleicht wieder in Prag, der europäischen Hauptstadt des Bluegrass. Wer kostenlos bei der EBMA Mitglied wird, bleibt jedenfalls per Newsletter informiert. Die Veranstaltung richtet sich auch an Fans und Interessierte, kurzum den bunten Reigen der Bluegrass Community.
Stellvertretend für das engagierte Team, das den reibungslosen Ablauf des Summit gewährleistet hat, zieht Vorsitzender Christopher Howard-Williams jedenfalls eine positive Bilanz zum 2025er-EBMA-Summit: „Wir haben nicht erwartet, dass über 100 Menschen nach Prag kommen!“ (jm, Fotos: jm/red)
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>> "Quincy's Classic Country Show", jeden So 16-18h, countrymusic24.com
>> www.larochebluegrass.org
>> www.france-bluegrass.fr
>> Rotterdam Bluegrass Festival
>> hetgasthuis.be
>> www.bacr.cz
>> kids on bluegrass europe