24 Dezember, 2009

Rich Webb: "Beautiful World" (All Killer Music/New Music Distribution)

Der smarte australische Sänger Rich Webb hat die 11 Titel seines Albums mit seiner Band gemeinsam geschrieben. Eingespielt wurde in nur acht Tagen in Hannover. Zwischen schönen Indie-Pop-Balladen wie dem ruhig abfahrenden Titelstück »Beautiful World« oder »Amber« geben die anderen Lieder die Richtung vor; schlicht und schnörkellose, handgemachte Pop-Rockmusik - die Strichliste im Booklet belegt zu jedem einzelnen Stück: Alle Spuren sind eingespielt, also »Ich habe fertig«. Der versteckte Höhepunkt steht an Stelle 9 und heißt »Moon Girl« und überzeugt mit klarer Melodieführung, die zuweilen auch ins Moll kippt. Einlegen, zuhören, zum Mond hinauf schauen und sich auf diese Platte einlassen. (jpl)

23 November, 2009

Wells/Whitehead/Schneider/Morgenstern: „Paper Of Pins“ (Karaoke Kalk)

Wenn sich gute Leute zusammentun, kann eigentlich gar nichts schief gehen: Mit „Paper OF Pins“ legen die Herren und Damen Bill Wells (Sampler), Ann Whitehead (Trombone, Melodica), Stefan Schneider (Bass, Synthie) und Barbara Morgenstern (Keyboard) ein Album vor, auf dem sie ruhig und unaufgeregt miteinander musizieren. Das Ergebnis ist trotzdem aufregend: Jedes der acht Stücke ist ein Kleinod, zwischen Elektronik, Jazz und Kammermusik angelegt. Wer genau hinhört, kriegt bei jedem Durchlauf etwas anderes mit, da dies bereits die zweite Zusammenarbeit dieser MusikerInnen ist, darf man sich jetzt schon auf Streich Nr. 3 freuen. (jpl)

20 November, 2009

Chris Isaak: "Mr. Lucky" (Reprise/Warner)

Nach sieben (mageren) Jahren gibt es endlich wieder ein neues Album von Chris Isaak: Eingerostet ist Isaak in dieser Zeit keineswegs, hier sind vierzehn Songs zwischen Rock und Hillbilly der unverwechselbaren Marke Chris Isaak. Mit "Summer Holiday" ist ein Ohrwurm allerbester Güte dabei, der Bryan Adams "Summer of ’69" rund vierzig Jahre alt aussehen lässt. Kollege Pranzl meint zwar, "Mr. Lucky" wäre zu mainstreamig, aber: Isaak klingt noch immer so frisch wie auf den ersten Alben und ist seinem Stil treu geblieben. Wenn das Mainstream bedeutet, dann bitte mehr davon! Aber bitte immer mit diesen kratzenden Gitarren; und stets mit dieser butterweichen Stimme, die wohl für immer ihren boy-next-door-Charme haben wird. Sicher: An Highlights des eigenen Œuvres, wie »Baja Sessions« kommt Isaak mit der neuen Scheibe nicht heran, aber das macht nichts. Die Isaak-losen Jahre sind vorbei, auf dass es nicht wieder sieben werden mögen.

09 November, 2009

The Long Lost: "s/t" (Ninja Tune)

Zwei High-School-Sweethearts, die noch immer zusammenstecken und miteinander The Long Lost betreiben: Alfred und Laura Darlington geben mit dem filigranen Eröffnungsstück "The Art Of Kissing" die Richtung vor - getragen werden die verspielten Pop-Miniaturen von Lauras zarter Stimme, neben der akustischen Gitarre ist auch mal für eine Klarinette Platz, einem nicht gerade üblichen Pop-Instrument. Ein 14-Stück-Album aus einem Guss, das an The Handsome Family denken lässt, The Long Lost sind freilich verträumter. Anspieltipps sind z.B. der sphärische "Siren Song" oder das wunderschöne "Regrets Only", das Duo The Long Lost erlaubt sich mit "Ballroom Dance Club" auch einen Ausflug in die 40er-Jahre und in seine eigene Geschichte - denn die SchulkollegInnen Alfred und Laura waren einst TanzpartnerInnen. (jpl)

27 Oktober, 2009

Fragments Of An Empire: "I've Left The House With Light Clothes Only Now I'll Never Get Warm Again" (pumpkin/Trost)

Eine abgelegene Insel, am Rande der gerade noch bekannten Welt, irgendwann im 16. Jahrhundert. Schiffbrüchige stranden dort und schlagen sich einige Jahre lang durch. Es kommt zu Fällen von Kannibalismus. Am Ende werden sie von einer grausamen Natur besiegt, und von einem Tropensturm hinweggefegt. Oder: Ein paar Tausend Galaxien weiter repariert ein einsamer Astronaut auf Erkundungsflug sein Raumschiff. Ob die Reparatur gelingen wird, bleibt unklar. Die Chance den Einsatz zu überleben und auf den Heimatplaneten zurückzukehren liegt höchstens bei 50:50. Oder: Zurück auf der Erde. Die Menschheit ist ausgestorben. Überlebt haben Tausende Insekten, die einander nun das Leben zur Hölle machen. Der Grund: Die Landfläche ist auf zwei Prozent der heutigen Größe geschrumpft. Zu solchen Filmen würde die Musik von Fragments Of An Empire hervorragend als Soundtrack passen. (jpl)

14 September, 2009

Gottfried Gfrerer: Scoop & Run (Buntspecht/Hoanzl)

Der österreichische Blueser legt eine großartige CD vor, die ihn einmal mehr als einen der besten Gitarristen des Landes zeigt: Darauf bleibt Gfrerer zwar dem Blues treu, lässt aber Einflüsse aus den Richtungen Country und Folk zu. Gleich das erste Stück ist musikalisch wie inhaltlich an den »Man in Black« angelehnt – und auch Track 3, »Western Town«, öffnet sich in die genannten Richtungen und liefert den ruhigen Soundtrack zu einem Leben auf der Farm, das man zurück lässt und sich auf die Suche nach Arbeit macht. Irgendwo am Horizont bläst der eisige Wind. Irgendwo vielleicht: 100 Männer, die reiten und schießen können wie 1000. Und so steht auf »Scoop & Run« zentral das wunderbare, düstere Blues-Country-Stück »The Getaway«. Ebenso wichtig wie seine eigene Musik ist für Gfrerer, dass er selbst Resonator-Gitarren baut. Bei den CD-Aufnahmen hat er eigene und Gitarren von Roland Knogler gespielt, im Booklet sind sie abgebildet; musikalische Gäste sind u.a. Dakota Dave Hull und Hans Thessink. (jpl)

31 August, 2009

Reinhard Mey: "Danke liebe gute Fee" (EMI)

Diese dicke Doppel-CD zeigt Reinhard Mey im Rahmen seiner Tournee 2008, live im Circus Krone in München. Im Booklet macht sich Mey Gedanken über seine x-te Tournee, über die kostbaren Stunden vor dem Auftritt, die er inzwischen genauso geniesst wie die Konzerte selbst. Mey ist älter geworden, nachdenklich war er schon immer, lustig und sprachspielerisch auch; das zeigen die Stücke aus rund drei Jahrzehnten und sie weisen Mey und Funny van Dannen plötzlich als ungleiche Brüder aus. Natürlich sind viele Lieder seiner letzten, sehr guten Platte dabei, etwa "Drei Kisten Kindheit" oder "Kai". Lieder, die sich unter den Mey-Klassikern ("Über den Wolken", "Ich wollte wie Orpheus singen") einreihen. Auf der Bühne redet Mey mit seinem Publikum, drückt vielleicht zuweilen zu viel auf die Tränendrüse - sei's drum, zu diesem Mann passt das, ihm sei es erlaubt. Er blickt zurück, erzählt über Kinder und Kindheit. Der Auftritt sitzt wie aus einem Guss, das Publikum ist genauso dankbar für den Zuspruch wie Mey. Wer es nicht zu einem der rund 40 Live-Terminen im Herbst 2008 geschafft hat, kann mit dieser CD ausgiebig nachhören. (jpl)

09 Juli, 2009

Tori Amos: "Abnormally Attracted To Sin" (Universal Republic)

Viele Jahre sind seit Tori Amos' "Little Earthquakes"-Album ins Land gezogen. Mit kleineren Erdbeben beginnt sie auch ihr neues Werk: Ungewöhnlich kraftvoll, mit Elektronikversatzstücken und dem nicht weg zu denkenden Piano. Spätestens ab der Mitte des Album verstärkt Amos aber das, was 'alte Fans' an ihr mögen: Fragiles Piano-Spiel, hier in Kombination mit neuen musikalischen Schritten, man darf sich also ein wenig überraschen lassen. Vielleicht hat das neue Album mit mehr als 72 Minuten Überlänge; viele der neuen Songs haben aber einfach die typische Amos-Klasse, etwa "Welcome To England" oder "Maybe California". Fazit: Kürzungen wären bei "Abnormally Attracted To Sin" möglich gewesen - aber schließlich ist ja beim CD-Player auch skipping erlaubt. (jpl)

24 Juni, 2009

Matt Bianco: "Hi-Fi Bossanova" (earMusic/Edel Entertainment)

Die 1980er-Jahre waren ein wundersames Jahrzehnt: Modisch wie musikalisch schien noch einmal alles möglich zu sein. Wer erinnert sich noch an Moon-Boots und Ohrenschützer aus Plüsch? Die sind jetzt immerhin weg. Musikalisch gab es neben A-ha, die wieder da sind, auch Matt Bianco. Die sind jetzt auch wieder da. Deren Hits "Half A Minute" und "Get Out Of Your Lazy Bed" fanden sich gleich am Debüt-Album "Whose Side Are You On" (1984). Danach brach die Band auseinander und Mark Reilly läutet nun das x-te Comeback ein. Und siehe da: Wenig hat sich in den letzten 25 (!) Jahren geändert - auch heuer schaffen Matt Bianco Pop mit Jazz- und Latino-Einflüssen. Der quillt so lässig aus den Boxen wie den 1980er-Jahren. Der Titel "Hi-Fi Bossanova" scheint gut gewählt, wenngleich ähnlich antiquiert wie die Band, wahrscheinlich kommt in 25 Jahren "Bossanova 2.0". (jpl)

18 Juni, 2009

Sister Fa: "Sarabah" (Piranha/Lotus)

Kämpferisch gibt sich Sister Fa auf ihrem Album "Sarabah": Die aus Dakar, Senegal stammende Rapperin lebt heute in Berlin und vereint in ihrer Musik lässig afrikanische Einflüsse: Kora und Djembe treffen hier auf Hip-Hop-Beats, der Eröffnungstrack "Milyamba" ist ein richtiger Ohrwurm. "Rap ist positive Musik", sagt Sister Fa und thematisiert textlich etwa Zwangsheiraten und Genitalverstümmelung. "Ich bin selbst ein Opfer der Genitalverstümmelung", sagt Sister Fa, die im Jahr 2008 in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut in ländlichen Regionen Senegals unterwegs war, um die Botschaft 'Education sans Mutilation' zu verbreiten. Wer das Video zu "Milyamba" sieht, erkennt das Gesicht einer Frau, die viel erlebt und etwas zu erzählen hat - tolle Rapmusik mit Tiefgang und Inhalt. (jpl)

>> www.myspace.com/sisterfa

30 Mai, 2009

Pajaro Sunrise: “Done/Undone“ (Lovemonk/Nova Media)

Ein wunderbar seltsamer Vogel; und endlich mal ungewöhnliche Musik aus Spanien. Yuri Mendez und Pepe López, das Duo hinter Pajaro Sunrise, legt nach den internationalen Erfolgen ihres Debüt-Albums aus dem Jahr 2006 nun den Zweitling vor. Das ist gleich eine Doppel-CD geworden und sie beinhaltet schöne Folk-Pop-Stücke, die die Seele zu erwärmen vermögen und für Verzückung der Ohren sorgen. Ja, auch das Glockenspiel darf hier nicht fehlen: Dieses Kinderinstrument umgibt die Lieder von Pajaro Sunrise und gibt ihnen Leichtigkeit, den Musikern kindliche Verspieltheit nachzusagen, wäre aber falsch – denn hier passt das alles wunderbar zusammen. Schön versponnen und ruhig gelingt auch Springsteens “Hungry Heart“. Einige Melodien sind so gut gelungen, dass man sie immer wieder hören möchte und am Ende steht programmatisch das – wie die gesamte Doppel-CD “Done/Undone“ - zurückhaltende Lullaby “Ruby Girl (Lullaby For Irene)“. Musik zum Zurücklehnen, getrost einnicken und wieder sanft aufgeweckt werden; großartig. (jpl)

>> www.myspace.com/pajarosunrise

Madeleine Peyroux: “Bare Bones“ (Rounder/Decca/Universal)

Auf hohem Niveau konsolidiert. So könnte man in einem Satz Madeleine Peyrouxs neues Album beschreiben. Wenngleich einige Unterschiede zu den Vorgängerwerken sofort auffallen: Neu an "Bare Bones" ist, dass Peyroux - von Produzent Larry Klein ermutigt - selbst Hand ans Songwriting bei jedem einzelnen Stück angelegt hat. "Das war wirklich eine neue Erfahrung für mich", sagt die Amerikanerin, die in New York lebt: "Es ist beinahe so, als hätte ich mein Debüt-Album gemacht". Fein, dass auf "Bare Bones" die musikalischen Parallele zu Billie Holiday nicht mehr so konsequent gezogen; im Verein mit den eigenen Songs ergibt sich somit mehr Eigenständigkeit - und die tut schließlich jeder Künstlerin gut. (jpl)

28 April, 2009

Black Eyed Dog: Rhaianuledada (Songs To Sissy) (Ghost Records/Cargo)

Fabio Parrinello aka Black Eyed Dog ist ein dreissig Jahre alter Italiener aus Varese. Einige Zeit hat der zurückhaltende Mann aus Norditalien in den Staaten und in London zugebracht, nicht ohne Absicht zieht die Presseinfo eine Verbindungslinie zu Conor Oberst oder Will Oldham. Herrlich brüchig ist Parrinello Stimme, schön zerstreut sein Songwriting. Dass die Platte mit dem Blödeltitel dennoch ein kompaktes Teil ist, liegt am großen Können dieses Hundes. "All 4 You" geht einige Schritte in Richtung Country-Music. Im nächsten Stück "Honeysuckle Gal" biegt Black Eyed Dog eher in Richtung Nick Cave ab. Ein interessantes in Sizilien aufgenommenes Teil das zeigt: Wieder einmal liegt die Kraft in der Ruhe, manchmal genügt ein schlichtes MIDI-Piano. Dieser Hund mit den schwarzen Augen ist ein zugleich herziger wie räudiger Straßenköter, dem man gerne einen Knochen zuwirft. (jpl)

>> www.myspace.com/mybandsnameisblackeyeddog

25 April, 2009

Shane Alexander: The Sky Below (Buddhaland Records)

Vor kurzem im Wiener B72: Der US-Singer-Songwriter eröffnet den Abend und beschließt damit 5 Wochen Touring durch Europa. Später würde an diesem Abend noch Martin Klein spielen, der sich gerade mitten in seiner Tour befindet. Aber da war Shane Alexander schon froh, seine Tour gut über die Bühne gebracht zu haben und verkaufte eigenhändig CDs und T-Shirts. Alleine, denn wie oft bei US-MusikerInnen fehlte das Budget fehlte einfach, um etwa die Backing-Band seines letzten Albums The Sky Below mitzunehmen. "Vielleicht beim nächsten Mal", sagt Alexander nach dem Konzert. Er hat live trotzdem überzeugt, weil die Songs einfach gut sind und er über eine angenehme Stimme verfügt. Auf CD vernimmt man sich Alexanders Musik nun in Bandbesetzung und - wie zu erwarten war - überzeugt die Mischung. Für den Singer-Songwriter spricht auch, dass er heuer bei den L.A. Music Awards den Preis als Singer-Songwriter des Jahres nominiert wurde. (jpl)

>> www.myspace.com/shanealexander

29 März, 2009

Ausstellung »Light & Atmosphere in the japanese way« in Wolkersdorf

Unter dem Titel »Light & Atmosphere in the japanese way« sind noch bis 20. April 2009 zwei Installationen der japanischen ArchitektInnen und KünstlerInnen Fumiaki und Mami Maruoka Nagagashima in Wolkersdorf zu sehen.

»Die Installationen zeigen Japan so wie wir es sehen«, sagen die beiden Künstlerinnen im Gespräch mit Weinviertel2.0. Denn im Rest der Welt denke man in Bezug auf Japan zunächst an Sushi und Mangas. Letztes Jahr waren die beiden für rund ein Monat in Krems, dort sind die zwei Installationen entstanden. Auch zurzeit leben sie als Artists in Residence in der Stadt an der Donau. Die Installationen sind aus Stäben und Tülle gefertigt und sind zugleich filigran wie kraftvoll.

Soziale Räume

Die japanischen ArchitektInnen führen weiter aus, wie sie üblicherweise arbeiten: »Vor der Planung reden wir mit den Nachbarn und schauen uns die Umgebung genau an.« So entstehen Bauwerke, die jeweils eine räumliche und soziale Situation reflektieren. Die Ausstellung »Light & Atmosphere in the japanese way« ist noch bis 20. April 2009 zu sehen. (jpl)

In Kooperation zwischen Velux und Orte Niederösterreich. Velux, Veluxstrasse 3, 2120 Wolkersdorf, Eintritt frei. Öffnungszeiten: Mo-Do 8-16, Fr 8–12 Uhr, an Feiertagen geschlossen.
>> www.orte-noe.at
>> www.velux.com
>> www.myspace.com/weinviertel20

(c) Foto: weinviertel2.0

28 März, 2009

Trouble Books: The United Colors Of Trouble Books (Own Records/Alive)

Es gibt Labels, die einem ans Herz wachsen. Dieses Label aus Luxembourg hat genau das geschafft; denn neben dem tollen neuen Album von Squares On Both Sides erscheinen in diesen Tagen auch die Trouble Books aus Akron, Ohio: Deren Scheibe schafft elegant die Verknüpfung von Elektronik und Singer-Songwriting. Die Arbeitsmethode der Band sieht seit jeher Home-Recording vor, so ist man auch jetzt vorgegangen und hat 7 Spuren des Laptop-Soundprogramms gefüllt; 7, weil 1 nicht funktioniert hat. Viele Sounds und Melodien gibt es auf diesem Album zu entdecken - und viel zu mögen: Songkleinode gekoppelt mit lyrischen Texten und Folkanklängen, eine Band die Ruhe hat und Zeit und ein Lied auch mal nur eineinhalb Minuten lange sein lässt. Versponnen, verschroben, schön, wunderbar. (jpl)

16 März, 2009

Die Heebie-Jeebies im CBGB´s - Die jüdischen Wurzeln des Punk (Ventil Verlag)

Du sollst zum Wesentlichen zurückkehren!

So lautet das erste Gebot der zehn Gebote des Punk nach Lenny Kaye, seines Zeichens Autor, Gitarrist der Patti Smith Group, und "Gelehrter der Tora des Rock'n'Roll", wie er sich selbst bezeichnet. Er war einer der ersten Autoren, die das Wort Punk-Rock benutzten und gilt als einer der Mitbegründer desselbigen.

Du sollst revolutionär sein!

Dass Punk in den USA, genauer gesagt in New York, entstanden ist und nicht wie viele glauben in England, war mir ja bereits bekannt. Doch Lee Beeber, der für sein Buch mit weit mehr als hundert Protagonisten der (Vor-)Punkära gesprochen hat, geht von einem völlig neuen Ansatz aus: Ist Punk jüdisch? Wenn es nach dem Autor geht besteht darüber kein Zweifel. Wobei weder Religion noch sonst irgendwelche Klassifizierungen dabei ein Rolle spielen. Beeber geht bei seinem Konzept der „Jewishness“, die er nicht näher definiert, von einer kulturellen Entwicklung aus. Oder um mit Lenny Bruce zu sprechen: "Es ist egal, ob du katholisch bist, wenn du in New York lebst, bist du jüdisch!"

Du sollst karikaturhaft sein!
"Es war alles andere als cool, als Jude in den 70ern in Atlanta aufzuwachsen. Deshalb wollte ich einfach coole jüdische Musiker entdecken. Ich war immer ein großer Rockfan, aber die einzigen jüdischen Rockstars wie Neil Diamond, Barry Manilow oder Billy Joel sind einfach nicht cool - und waren es auch nie. Also machte ich mich auf die Suche und fand immer mehr jüdische Namen im New Yorker Punk. Der spielte gleichzeitig mit Nazi-Symbolen, was ich für einen bemerkenswerten Gegensatz hielt."(Beeber)

Ganz egal was eine(r) von Beeber`s Ansatz halten mag, ist ihm mit diesem Buch, das nun in deutscher Übersetzung vorliegt, ein wichtiger Beitrag zur modernen Musikgeschichte und ein amüsantes, mehr als lesenswertes Buch, gelungen. (mhl)

Lee Beeber: "Die Heebie-Jeebies im CBGB´s-Die jüdischen Wurzeln des Punk" Broschiert: 300 Seiten mit Abb., aus dem Englischen von Doris Akrap, (Ventil Verlag: Mainz: 2008), 17,90 €
>> www.ventil-verlag.de

10 März, 2009

Squares On Both Sides: Indication (Own Records/Alive)

Wieder mal tolle Musik aus Luxembourg: Das kleine Land im Herzen Europas scheint ein fruchtbarer Boden für Musik zu sein. Squares On Both Sides ist das Projekt des von München und Berlin aus agierenden Musikers Daniel Brueckner. Das dritte Album bringt eine überzeugende Mischung aus Minimal, Elektronik und Singer-Songwriting in den CD-Player. Die Songstrukturen werden manchmal bis aufs Skelett abgemagert, dann laufen eine akustische Gitarre und ein Piano zueinander; wenn dann noch Elektronik oder ein Glockenspiel einsetzen, sind sie gleichsam das Tüpfelchen auf dem i. Die tolle Scheibe hat sich Aufmerksamkeit von vielen Seiten verdient: Von jenen, die dem Lied zugewandt sind, genauso wie von den Elektronikfritzen - die hier Daniel heißen. Ein Stück trägt den Titel Pripyat, das ist der Ort, der in der Nähe von Tschernobyl liegt und heute eine Geisterstadt ist; erinnert darob und aufgrund seiner Versponnenheit an ein längst vergangenes österreichisches Projekt namens Bottervogel. (jpl)

10 Februar, 2009

José Eduardo Agualusa: “Das Lachen des Geckos“ (A1 Verlag)

Ein Roman, der zum Teil aus der Perspektive eines Geckos erzählt wird.

Félix Ventura ist Autor. Er handelt mit erfundenen Vergangenheiten. Seine KundInnen wollen einen Stammbaum mitsamt Familienhistorie, wenn gewünscht fertigt er auch Fotofälschungen an, die die erfundene Geschichte belegen und glaubwürdiger erscheinen lassen. Ventura ist ein kauziger Weiberheld, ein Gecko ist sein Wohnungsgenosse.
Agualusas Roman kippt an dem Punkt, an dem sich die erfundenen Figuren selbstständig machen und in seinem, im wirklichen Leben auftauchen. Außerdem beginnen die Figuren bald selbst zu agieren.

Der Autor und seine Figuren

José Eduardo Agualusa knüpft mit seinem Buch an die Tradition Flann O'Briens an, in dessen Meisterwerk "In Schwimmen Zwei Vögel" sich Romanfiguren ebenfalls gegen ihren Autor erheben und real werden. “Das Lachen des Geckos“ ist ein Schelmenroman, der amüsant Verwicklungen schildert, sprachlich hält der Witz mit der Handlung ohne Probleme mit - dass auch aus der Perspektive des Geckos erzählt wird, passt hier dazu.
José Eduardo Agualusa wurde in Angola geboren, dort spielt auch sein Roman. Heute lebt Agualusa abwechselnd in Portugal, Brasilien und Angola. “Das Lachen des Geckos“ wurde im Jahr 2007 mit dem britischen Independent Foreign Award ausgezeichnet. Zurecht. (jpl)

José Eduardo Agualusa: “Das Lachen des Geckos“ (München: A1 Verlag: 2008), S.176, €17,80
>> http://www.a1-verlag.de

09 Februar, 2009

Andrea De Carlo: "Das Meer der Wahrheit" (Diogenes)

Das neue Buch von Andrea De Carlo zeigt den Autor als genauen Beobachter.

Nach dem letzten Buch, das als Nebenwerk einzustufen ist, legt De Carlo nun wieder ein Meisterwerk vor: In "Das Meer der Wahrheit" beschreibt er das Leben von zwei Brüdern, die nicht unterschiedlicher sein könnten - der eine, Fabio, ist ein gestresster Politiker, der andere, Lorenzo, hat sich aufs Land zurück gezogen. Durch den Tod ihres Vaters werden die beiden in Mailand zusammen geführt. Der Vater war Wissenschafter und hinterlässt seinen Söhnen die kritische Schrift eines afrikanischen Geistlichen, die sich mit AIDS und Glaube beschäftigt.
Beim Begräbnis lernt Lorenzo die dänische Aktivistin Mette kennen und schlägt sich - aus Liebe - auf ihre Seite. Als das Büro ihrer Organisation Stopwatch in die Luft fliegt und ein Mitarbeiter und Vertrauter Mettes stirbt, werden Lorenzo und Mette zu Gejagten.

Hinaus aufs Meer

Sie begeben sich ans Meer und segeln schließlich über das Mittelmeer. Und spätestens ab diesem Punkt nimmt das Buch - gleichsam mit dem aufkommenden Wind - Fahrt auf und zieht den Leser in seinen Bann.
De Carlo beschreibt wunderbar zurückhaltend und stilsicher die zwischenmenschliche Annäherung von Lorenzo und Mette. Im Zuge der Flucht werden die beiden getrennt und treffen einander - auf der Suche nach dem Manuskript - in Portugal wieder. Gegen Ende hin bietet De Carlo alles auf, was zwischen Detektiv- Reise- und Liebesroman möglich ist und macht "Das Meer der Wahrheit" so zu einem Lesegenuss. (jpl)

Andrea De Carlo: "Das Meer der Wahrheit" (Zürich: Diogenes: 2008), S. 348), € 21,90
>> www.diogenes.ch

18 Januar, 2009

Lucía Pulido: Waning Moon (Adventure Music)

Lucía Pulidos Werk zeichnet sich durch seine Vielgestaltigkeit aus: Die aus Kolumbien stammende Sängerin hat viele musikalische Heimaten, auf ihrer jüngsten CD Waning Moon wird sie von den hervorragenden Musikern Adam Kolker (Klarinette, Flöte) und Ted Poor (Drums) unterstützt. Wie schon bei ihrer 2000er-CD „Religious and Pagan songs from Colombia“ ist auch dieses Mal ein Japaner (Stomu Takeishi: Bass, Elektronik) mit dabei, Gitarrist Sebastián Cruz hat für die meisten Arrangements gesorgt. Und wieder bezieht sich Pulido auf ihr Herkunftsland, sie spielt Traditionals von der kolumbianischen Pazifikküste genauso wie von den Eastern Plains. „Tonada de luna llena“, komponiert von Simón Díaz, besingt den Vollmond und die Liebe, die wohl nirgendwo so schmachtend ist wie in Lateinamerika. Eine wunderbare CD für große und stille, intensive Stunden. Die darf man von Lucía Pulido auch am 29. Jänner im Konzerthaus erwarten - da sind Pulido und Kollegen nämlich in Wien zu Gast. (jpl)

>> http://www.myspace.com/luciapulido
>> http:// www.adventure-music.com

04 Januar, 2009

Beim Stromwirt: Lieder nach Texten von Theodor Kramer (Extraplatte)

Theodor Kramer wurde 1897 als Sohn eines jüdischen Landarztes in Niederhollabrunn im Weinviertel geboren, ab 1931 war er als freier Schriftsteller tätig und erlangte mit seiner Lyrik Bekanntheit. Nach dem Anschluss Österreichs an Deutsche Reich wurde über Kramer ein Arbeitsverbot verhängt. Nach langen 18 Jahren im Londoner Exil kehrt Kramer im September 1957 nach Wien zurück und stirbt sechs Monate später. Seine auf dieser CD vertonten Gedichte erzählen von Niederlage, Aufbegehren, Sehnsucht und Lebensfreude - Ingredienzien, die für das Wiener Lied, diesen helldunklen Blues, typisch sind. Hier werden sie von Georg Siegl, Doris Windhager und Adula Ibn Quadr in Szene gesetzt. Eine CD, die gemacht werden musste und dadurch als historisches Dokument zu bezeichnen ist. (jpl)