09 Juni, 2016

Hot News Juni 2016

Per definitionem Weltmusik liefert Mor Karbasi mit "Ojos De Novia": Dominieren zunächst orientalische Klänge, so wird ab der Hälfte der CD ein Wechsel in Richtung Lateinamerika vollzogen. Leicht dahin fließende Lieder, die von Karbasis klarer Stimme schön in Szene gesetzt werden. Jazzige Einflüsse gibt es auch mal, wunderbar gelingen die ruhigen Stücke, kurzum: ein rundum gelungenes Werk - somit CD des Monats.
Eindeutig orientalisch geht es auch auf der CD "Stage Cuts" von Jalilah's Raks Sharki zu: Die 16 Stücke wurden von Jalilah selbst kompiliert und liefern die Vorlage für Tanz, für eine neue Generation von TänzerInnen und Performern, wie es auf der CD heißt - ein Werk für absolute Spezialisten.
Im Pop-Mainstream ist die Debüt-CD des austro-isländischen Sängers Thorsteinn Einarsson angesiedelt. Ja, professionell gemacht, ja Gesang passt auch, ein glattes Mainstream-Album eben, der Funke will nicht so recht überspringen. "Jetzt habe ich auch mein Konzert", freute sich Einarsson und tanzte bei der Album-Präsentation heftig auf der Bühne des WUK.
Dass sich Experten auch irren können, wurde in den letzten Monaten bei politischen Wahlen und bei einer weiteren Gelegenheit klar gemacht: Leicester City wurde englischer Fußballmeister. Der Underdog, für den Wettbüros eine Meisterquote von 5000:1 veranschlagt hatten. Dem tatsächlichen und vermeintlichen Expertentum ist nun ein ganzes Buch gewidmet, das sich mit Fragen wie "Wer oder was ist ein Experte?" beschäftigt: "Auf dem Markt der Experten. Zwischen Überforderung und Vielfalt" wurde von Ruben Pfizenmaier herausgegeben. Amüsant ist etwa der Beitrag von Armin Himmelrath, der unter der Überschrift 'Mein Expertendilemma' beschreibt, welche Zuschreibungen er selbst als Experte erfahren hat, eine Internetabfrage weist ihn als 'Experte für falsche Doktoren und Plagiats-Experte', 'Computerspiel-Experte', 'Experte für Amokläufe', 'Schul-Experte' etc. aus und zeigt, dass die rascheste Zuschreibung des Expertenstatus über Medien erfolgt. Ein schön gestaltetes Buch, das in der Edition Büchergilde erschienen ist und in dem man wie in einem Lexikon lesen kann. Es ist übrigens ein Projekt der Freien Universität Berlin und wurde von StudentInnen und Professoren gemeinsam im Rahmen eines Seminars betreut - auch so geht Uni.
Der deutsche Liedermacher Bastian Wadenpohl erschafft mit etwas rauer Stimme seinen eigenen Kosmos, genannt "Griesgramgrüße aus dem Gartencafé". Ein wenig verweisen die Stücke musikalisch auf Protestsänger früherer Jahre wie Hannes Wader, inhaltlich gelingen einige Bilder okay. "Toastbrot" und "Rentnergang" heißen zwei Stücke, und automatisch denkt man an Funny van Dannen, der die Latte bereits höher gelegt hat.
Ebenfalls aus Deutschland, aber ganz anders unterwegs sind Lotta Sleeps aus Dresden: Die Band war vor kurzem im Rahmen einer Europa-Tournee im Wiener local zu Gast und hat dabei als kongenialer support für Satuo ihre neue CD und u.a. die 5-Song-EP "Well" präsentiert. Satuo werden übrigens demnächst ebenfalls in Europa unterwegs sein, dazu demnächst mehr hier. Zurück zu Lotta Sleeps: Ruhige Balladen, hinter denen man eher skandinavische MusikerInnen vermuten würden, sind die Stärke der Band, dass es live auch mit Kraft zur Sache gehen kann, haben Lotta Sleeps im local bewiesen. Like them!

Jetzt zur allmonatlichen Boxer John-Review: "The Great Folk Heist" ist der Titel von einem der vier Alben, die der in Wien lebende Brite vor einigen Monaten auf einen Schlag veröffentlicht hat. Das Cover zeigt ihn mit Mistgabel in der Hand, als wäre er "The Grapes Of Wrath" oder wenigstens einem Südstaaten-B-Movie aus den 1950er-Jahren entsprungen. "The Great Folk Heist" versammelt hauptsächlich klassische Traditionals, um einen großen Vergleich zu strapazieren: Man ist auch versucht an das The House Carpenter’s Daughter-Album von Natalie Merchant zu denken. Boxer John zeigt sich als wunderbarer Interpret, die Songs sind nicht aus der Zeit gefallen, sondern bestechen durch ihre Klarheit und Einfachheit und funktionieren auch heute. Sie werden von Wien aus agierenden MusikerInnen wie Stephan "Stoney" Steiner (von Hotel Palindrone), Patrizia Sieweck, Tino Mixan und Michael Kapfinger kongenial mitgetragen, Cat Dowle hat Wien inzwischen wieder verlassen und singt hier aber backing vocals. Die dazu passende von Boxer John gestaltete Radio-Sendung The Vintage Underground kann man natürlich auch nach hören. Drei von The Vintage Underground gestaltete Konzertabende finden übrigens am 30. Juli, 4. und 5. August im WUK (Währinger Str. 59, 1090 Wien, 20:30h) statt - Empfehlung.
Für einen großartigen Auftritt haben Rodney Lancashire und Séamus Hernon als Catmelodeon im Werk X, dem ehemaligen Kabelwerk, im Rahmen von Wean Hean 2016 gesorgt. Auf ihrer CD "Extended Play" kann man irischen traditionals lauschen und die Live-Atmosphäre durchaus nachempfinden. Unterstützt wurden die beiden an diesem Abend von der aus der Steiermark stammenden Fiddlerin Claudia Schwab. Sie lebt zurzeit in Irland, ihre CD "Amber Sands" spannt den Bogen von Jodlern hin zu irischen und frei assoziierbaren Einflüssen bis hinüber nach Lateinamerika. Das Album einer Könnerin, Weltmusik im besten Sinn.
Aktuell ist der Kalifornier Joe "City" Garcia mit seinem Urban Desert Cabaret noch in Europa unterwegs, nach Auftritten in Österreich und der Slowakei, geht es bald nach Polen. Produziert hat Garcia das neue Album gemeinsam mit Gar Robertson, der Lap Steel- und andere Gitarren beisteuert und vor kurzem als Teil von Ocotillo (siehe --> Hot News April 2016) ebenfalls in Wien zu Gast war. Und siehe da: Die zweite Hälfte von Ocotillo, Kirsty McGee hat bei zwei Tracks backing vocals beigesteuert. Geister geben den inhaltlichen roten Faden durch diese Desert-Folk-Geschichten. Zu einem Stück, dem "Vienna Vampire Waltz" wurde Joe "City" Garcia bei seinem Wien-Aufenthalt im Jahr 2015 inspiriert. "Dieses Album ist in nur 9 Tagen entstanden", erzählt Garcia, beim Vorgänger "Sometimes The Angels" - für uns CD des Monats Juli 2015 - war es rund ein Jahr Produktionszeit gewesen. Robertson & Garcia setzen diese gut geschriebenen desert songs behutsam in Szene. Mit "Shadow Of A Ghost" ist ein großer, ein leichter Wurf gelungen.

Ab 28. Juni steigt in Wien wieder das Jazz Fest, bis 11. Juli sind Acts wie Burt Bacharach (1.7.), Beth Hart (4.7.) oder Jamie Cullum (6.7.) zu hören. Als weitere Highlights sind Keith Jarrett, der am 9. Juli solo auftreten wird und Snarky Puppy/Marc Ribot & The Young Philadelphians (11.7.) auszumachen. (jpl)

Boxer John: "The Great Folk Heist" (8/10)
Catmelodeon: "Extended Play" (8/10)
Thorsteinn Einarsson: "s/t" (3/10)
Urban Desert Cabaret: "Shadow Of A Ghost" (9/10)
Jalilah's Raks Sharki: "Stage Cuts" (6/10)
Mor Karbasi: "Ojos De Novia" (10/10)
Ruben Pfizenmaier (Hrsg.): "Auf dem Markt der Experten. Zwischen Überforderung und Vielfalt" (7/10)
Claudia Schwab: "Amber Sands" (8/10)
Lotta Sleeps: "Well" (8/10)
Bastian Wadenpohl: "Griesgramgrüße aus dem Gartencafé" (5/10)

Live:
Do 02.06.2016: Son Of The Velvet Rat, support: Joe "City" Garcia, Sargfabrik, 1150 Wien, 20h
Sa 11.06.2016: Skodagassenfest, u.a. mit Maqama, Hotel Palindrone etc., 14-22h
Fr 17.6.2016: Tribute-Abend für Georg Danzer, Live: PauT, Die Feinen Leute + Überraschungsgäste, Eintritt: Spende, 19:30h, Arena Bar, Margaretenstr. 117, 1050 Wien
Do 23.06.2016: Christian Masser, Gemischter Satz, 1190 Wien, 20h
Jazz Fest Wien, 28.6.-11.7.2016: u.a. Joey Alexander Trio (7.7.), Programm: www.jazzfest.wien
Satuo-Tour im Juli 2016, siehe www.satuo.at
Fr 08.07.2016: Element Of Crime, Marx-Halle, 20h
Di 19.07.-Fr 12.08.2016: WUK Platzkonzerte 2016, www.wuk.at