17 Februar, 2014

Hot News Februar 2014

Dieser Mann ist ein Sturschädel: Tombeck veröffentlicht mit "Knistern" gleich ein Doppelalbum und spielt zurzeit in Österreich beinahe in einer eigenen Liga – wenn es nämlich um kritisches Liedermachertum im Dialekt geht. Mit dabei sind Stücke aus den letzten Tombeck-Veröffentlichungen wie "Andrea", das seiner Schwester gewidmet ist oder "Slobozia", das Menschenhandel mitten in Europa thematisiert. Um diese Stellung zu unterstreichen ist Teil 2 von "Knistern" eine Live-DVD, die die Band on stage 2013 in Rothneusiedl zeigt. Kraftvoll. Zurzeit organisiert der umtriebige Tombeck übrigens die Konzertreihe Liederlich im Wiener Schikanederkino
Man müsste endlich nachzählen, wie viele CDs das Putumayo-Label bereits veröffentlicht hat. Hunderte jedenfalls, gar Tausende? Neu ist der Sampler "American Playground", der u.a. Elizabeth Mitchell und Buck Howdy ("You Are My Sunshine") featured: Los geht es aber mit "She'll be Coming 'Round The Mountain", alle Lieder sind Sing-Alongs für die ganze Familie!
Für Hispanophile ist Mitsingen jedenfalls bei der nächsten Putumayo-Scheibe möglich: "Café Latino" zeigt Singer-Songwriter von Lateinamerika bis Spanien. Sehr relaxed geht es in diesem Café zu, man könnte vermuten, die ewige Siesta hätte Einzug gehalten. Bien hecho!
Boxer John nennt sich der Mann mit der sonoren Stimme, der nun schon seit Jahren von Wien aus agiert und mit "Realms & Reassuring Reality" ein neues Album vorlegt. Darauf überzeugt erstens seine Stimme und zweitens das Songwriting, das sich am klassischen Folk orientiert. Von Szene-Musikern unterstützt hat Boxer John die Scheibe alleine eingespielt und produziert. Dass bei "Maya", dem besten Song des Albums, die Hookline von Falcos "Jeannie" durchklingt, ist vielleicht ein Tribut an des Boxers Wahlheimat. Beim Protestsongcontest 2014 ist Boxer John mit dem besten Song des Abends "The Turning Of The Tide" letztlich auf Platz 4 gelandet. Respekt!
Ebenfalls der Tradition verpflichtet zeigt sich das Duo Kaleidoscope, das seit 1999 unter verschiedenen Namen miteinander Musik macht. Die thematische Bandbreite der Lieder reicht dabei von persönlichen introvertierten Stücken bis zu solchen, die mehr die "Welt da draußen kommentieren", wie die Band sagt. Eine CD war also längst überfällig, das Duo bedient dabei 2 Schienen: Den 60ies und 70ies-Folk á la Joan Baez (mit der Sängerin Renate Obermayer oft verglichen wird) und deutschsprachiges Liedermachterum. Live vermögen die beiden - wie kürzlich in der Wiener Arenabar - eine intime Stimmung zu erzeugen, bei den WUK Platzkonzerten 2014 werden Duo Kaleidoscope auch dabei sein.
Eleni Mandell legt inzwischen seit Jahren eine gute Platte nach der anderen vor: Auf "Let's Fly A Kite" zeigt sie sich einerseits mit verspielten Pop-Folk-Liedern, andererseits zeigt sie ihre Crooner-Seite. Mit "Maybe Yes" ist – wie auf der Vorgänger-Scheibe ("Magic Summertime") ein ausgewachsener Ohrwurm dabei, dessen Akkordeon sogar Tex-Mex-Ansätze zeigt. Mandells Stimme zählt ohnehin zum Besten, was derzeit zu bekommen ist. Am 20. April ist die Sängerin aus California im Wiener WUK zu sehen, schon jetzt ist "Let's Fly A Kite": Platte des Monats.
Artverwandt: Ebenfalls einen croonenden Einstieg wählt dieser Mann, der schon seit einiger Zeit dank seiner Veröffentlichungen auffällig geworden ist: Matt Pryor. Das fleißige deutsche Label Arctic Rodeo veröffentlicht Pryors "Wrist Slitter" als limitierte Vinyl-Edition in verschiedenen Farben. Nach dem ungewöhnlichen Einstieg folgen allerdings geradlinige, auf Gitarren basierte Indie-Rockstücke in guter Qualität.
Abschließend: Wäre nicht Mandells CD eben erst erschienen, wäre David Helbock's Random Control, rund um den Vorarlberger Jazz-Pianisten David Helbock, die Platte des Monats geworden: Die Präsentation kürzlich im Porgy & Bess hat ebenso überzeugt wie die CD. Diese zeigt den Ausnahmepianisten gemeinsam mit Johannes Bär und Andreas Borger, die beide an diversen Instrumenten bis hin zum Didgeridoo agieren. Die drei setzen sich insbesondere mit Helbocks Lieblingskomponisten auseinander, mit dem Brasilianer Hermeto Pascoal, Werke von Thelonius Monk und ein Stück von Helbock selbst, runden "Think Of Two" wunderbar ab. (jpl)

Boxer John: "Realms & Reassuring Reality" (8/10)
Duo Kaleidoscope: "1" (8/10)
Eleni Mandell: "Let's Fly A Kite" (10/10)
Matt Pryor: "Wrist Slitter" (7/10)
David Helbock's Random Control: "Think Of Two" (9/10)
Tombeck: "Knistern" (8/10)
VA: "American Playground" (7/10)
VA: "Café Latino" (8/10)

11 Februar, 2014

15 Jahre Akkordeonfestival

Zum ersten Mal ging es im Jahr 2000 über die Bühne. Was als kleines Event begonnen hat, ist längst ein international anerkanntes Festival auf musikalisch höchstem Niveau: Das Akkordeonfestival. Im Jahr 1 gab es ein Dutzend Konzert, heuer werden insgesamt 51 Veranstaltungen in Wien zu sehen sein. Darunter sind 22 Einzel- und 14 Doppelkonzerte sowie 5 Matinees, bei denen AkkordeonistInnen Stummfilme live vertonen werden.
Am Samstag den 22. Februar eröffnen Klaus Paier & Asja Valcic und Donauwellenreiter im Kuppelsaal der Technischen Universität den bunten Reigen. Die Eröffnungsgala Nummer 2 am Tag darauf bestreitet die österreichische Großmütterchen Hatz 11 Piece Band, die eine Mischung aus Tanzmusik und Jazz ins Porgy & Bess (23.2.) bringen wird. Am Vormittag desselben Tages vertonen Tino Klissenbauer (der Akkordeonist von den Playbackdolls) und Florian Wagner (Gitarre) den Stummfilmklassiker "Faust" von Friedrich Wilhelm Murnau aus dem Jahr 1926. Da das gesamte Programm hochwertig ist, seien an dieser Stelle einige Highlights herausgegriffen: Gleich zwei Mal werden Dobrek Bistro (12.3. und 26.3.) schon traditionell das Orpheum bespielen!

Lateinamerika & Österreich

Ricardo Tesi aus Italien ist wieder mit dabei (28.2., Stadtsaal), auch die Franzosen von Bratsch und Luis di Matteo (2.3., Kabinetttheater) war mit seinem Bandoneon schon ein Mal beim Akkordeonfestival. Ein kleineres, feines Konzert ist auch von Chango Spasiuk und Marcelo Dellamea zu erwarten (6.3. Sargfabrik), die den sehr tanzbaren Chamamé aus dem Nordosten Argentiniens nach Wien bringen werden. Spasiuks Wirken zum Chamamé wird gar mit Astor Piazollas Verdienste um den Tango verglichen. Erfreulicherweise gibt es neben Großmütterchen Hatz und Klaus Paier weitere österreichische Beiträge: Vom Herbert Pixner Projekt (1.3.) und Anne Clare Hauff (1.3.) bis zu Rock Me Balboa (5.3.) und Walther Soyka, der einen Akkordeon- und Harmonikaworkshop (15.3.) abhalten wird. Auch Heidelinde Gratzl von Wienerglühn wird einen Stummfilm vertonen ("Hamlet" 9.3., Filmcasino).

Diknu Schneeberger & Karl Hodina

Das Diknu Schneeberger Trio wird gemeinsam mit Routinier Karl Hodina (19.3.) auftreten, schon am Tag davor wird die portugiesische Gruppe Dancas Ocultas das Theater Akzent bespielen. Es wird ein Monat gefüllt mit Akkordeonmusik sein, die letzten Tasten werden im 15. Jahr des Akkordeonfestivals gegen Ende März gedrückt werden: Den würdigen Abschluss liefern Attwenger (22.3., Reigen) und das neu formierte Ziehharmonische Orchester Wien (23.3., Metropol) rund um Otto Lechner. Somit: Gratulation an Festivalbegründer Friedl Preisl und sein Team zum Geburtstag und - man darf sich schon jetzt auf die nächsten 15 Jahre freuen! (jpl)

15. Internationale Akkordeonfestival: 22. Februar - 23. März 2014

>> http://www.akkordeonfestival.at

03 Februar, 2014

Zu Unrecht liegen Gebliebenes 02/2014

Vieles würde unter den Tisch fallen, würde es diese Rubrik nicht geben. Das wäre gerade in diesem Monat schade, würde einem doch "Still Flyin'" oder "Of Montreal" entgehen. Damit sind wir schon mitten drin: Eigentlich war es keine totale Überraschung, denn schon das Cover des elften Studioalbums von "Of Montreal" lässt Rückschlüsse zu: Es ist ein gemaltes Bild, das in seiner bewusstseinserweiternden Buntheit durchaus an Yellow Submarine von The Beatles erinnert. So gibt sich auch die Musik mit Fortdauer der CD gleichsam beatlesk, schöne Melodien, Brüche und mehrstimmige Chöre inklusive. Die Lieder treiben ordentlich vorwärts und sind ob der psychedelischen Reminiszenzen überdurchschnittlich gut. Im versponnenen und dennoch kraftvollen Schlussstück "Authentic Phyrrhic Remission" folgt auf den Ausbruch die Reduktion, es nimmt sich mehr als 13 Minuten Zeit zur Entfaltung und ist auch für U-Boot-Fahrten geeignet.
Ganz anders rocken die Salzburger von Betty's Apartement: Auch wenn sie ihre CD "Silence In The Sound" nennen. Mal auf Deutsch, mal auf Englisch, auch mal denglisch blicken die Arrangements und Gitarrenwände dem Punkrock ins Gesicht, das hat Kraft und die Texte passen auch. Gut gemacht.
Die Abarbeitung von liegen gebliebenen CDs ist auch eine Befreiung, aber das nur nebenbei. Das Reduzieren des Stapels geht weiter mit: Joshua und ihrem Album "Choices", das sich in der Nähe von Betty's Apartement wiederfindet. Die Band aus dem Bundesstaat New York meldet sich nach rund 5 Jahre andauernder Pause mit kraftvollen Gitarren und wunderbaren Hooklines wieder zurück, die CD wird uns vom verdienstvollen deutschen Label Arctic Rode Recordings zugänglich gemacht. Anspieltipp: "Mean What You Say"
What next? Ah, endlich: Fargo aus Linz mit "Violations in E & A". Nicht erst mit ihrem fulminanten Auftritt im WUK 2013 haben sich die 4 aus OÖ zur Lieblingsband hochgespielt. Die Songauswahl ist exzellent und beweist exquisiten Musikgeschmack wie Geschichtsbewusstsein, sie reicht von Tom Waits und Paolo Conte bis zu Ray Davis. Die Lieder sind schön - auch mal mit Trompete und Toy-Piano arrangiert - nicht zu vergessen: Das Hank Williams-Cover des Klassikers "Ramblin' Man", das durch seine Schlichtheit besticht und das Herz anrührt. Die Band macht franko- und italophil angehauchte Indie-Bar-Americana-Musik, kurz: Eine wunderbare CD, einfach anhören und auch unbedingt mal live ansehen!
Das gilt auch für die US-Band Still Flyin', deren Album "On A Bedroom Wall" via staatsakt nach Europa gekommen ist. Die Presseinfo schreibt, die Band wäre 80er-Jahre retro und dennoch im Jetzt - und hat Recht. Freundliche Synthie-Sounds treffen auf freundliches Songwriting, das passt. Die Kalifornier um Bandleader und Songwriter Sean Rawls erinnern zuweilen an New Order oder Human League, produziert hat Hamia Marriott von Architecture in Helsinki. Absolute Empfehlung.
Ein in sich kompaktes Album hat die Hamburger Band Die Heiterkeit mit "Herz aus Gold" aufgenommen. In der HH ist DH bereits Kult, vielleicht liegt es an der lapidaren Art des Vortrags, den Stella Sommer in der Alt-Lage umsetzt. Cool ist die Selbstinszenierung dieser Band schon. Noch bevor es einen Song gab, wurden Bandfotos gemacht. So kommt das Album hingerotzt und ein bisschen schräg rüber, kurz: Es ist ein Debüt-Werk, dem man die Jugend anmerkt, bei dem auch die Instrumente nicht immer optimal bedient werden und das Schlagzeug auch mal ruckelt. Inhaltlich geht es oft ums Herz, siehe Titel, da heißt es z.B.: "Für den nächstbesten Dandy wirst du mich verlassen." Klar, Lassie-Singers, Hamburger Schule und die NDW sind keine neuen Nachrichten mehr - und irgendwo zwischen diesen Koordinaten bewegt sich diese Band, wenn auch zuweilen ein wenig dilettantisch.
Es ist noch ein weiter Weg zu gehen, bis Die Heiterkeit soweit sein werden wie die nächste Band, die in ihrem eigenen Universum agiert: Stereo Total sind tatsächlich Kult und stellen dies auch mit Album Nr. 11 "Cactus vs. Brezel" unter Beweis. Billige Synthies oder gar Heimorgeln, gegengeschnitten mit Disco-Rhythmen und lustigen Texten. "Cactus vs. Brezel" ist auch: Deutschland vs. Frankreich, Lied vs. Chanson, 70ies vs. 60ies. Und das sind natürlich keine Widersprüche, sondern einander ergänzende Gegensätze. Wie heißt es in der Presseinfo so schön: "Cactus vs. Brezel" ist ein Hit-Album für das metrosexuell-orientierte Landei in uns. Ah, qui!
Vom Land in die Stadt: Coy macht auf "All Spots On Me" gereifte Pop-Rockmusik, der man manchmal ein wenig mehr Verschnaufpausen gönnen möchte. Das Debüt-Album von Coy entfaltet seinen Zauber am besten, wenn es auf die ruhige Karte setzt. "I need silence to understand the music", heißt es im Schlussstück vielleicht schon programmatisch, das sich als Ohrwurm zeigt (dafür gibt es einen Extrapunkt) - mal hören wie es mit Coy weitergehen wird.
Auch "Rush For Second Place" von Protestant Work Ethic begeistert in aller Ruhe: Die CD beginnt recht traditionell, um sich immer mehr dem Alternative Country zu zu wenden und mit einem Schritt in Richtung Jazz zu gehen. Dazwischen ist auch mal Platz für einen Bläsersatz. Und dann holt die kongeniale Band bei "Racing In The Rapids" zu einem lupenreinen Country-Song aus. Dann gleich wieder Reduktion - so halten Protestant Work Ethic die Spannung bis zum Schluss. Alle Lieder stammen von Simon Usaty, der die Stücke auch gemischt hat und übrigens bei der aktuell vielleicht interessantesten österreichischen Band, bei Pabst, mitspielt. Kurzum: "Rush For Second Place" ist eine schöne CD für die ruhigen Momente des Lebens. (jpl)

Betty's Apartement: "Silence In The Sound" (7/10)
Coy: "All Spots On Me" (7/10)
Die Heiterkeit: "Herz aus Gold" (5/10)
Fargo: "Violations in E & A" (8/10)
Joshua: "Choices" (7/10)
Of Montreal: "Paralytic Stalks" (9/10)
Protestant Work Ethic: "Rush For Second Place" (8/10)
Stereo Total: "Cactus vs. Brezel" (7/10)
Still Flyin': "On A Bedroom Wall" (8/10)