30 Dezember, 2008

Steve Gander: Copulate + Populate (Red Nag Records)

Ein Brite, der in Wien hängen geblieben ist und seine Auftritte gerne mit den Worten "Wollt ihr etwas Lustiges oder etwas Trauriges hören?" eröffnet. Im seinem Fall ist die Frage freilich mehr rhetorisch: Denn über kurz oder lang landet man bei Lustigem; schließlich ist Gander ein musikalischer Comedian, der alle Möglichkeiten an trockenem Humor ausschöpft, die ihm seine Herkunft mitgegeben hat. Bei »Blonde Aryan Girls« scheint - nicht zuletzt dank Ganders dunkler Bassstimme - Tom Waits in Reichweite, weil man sich an den "Russian Dance" erinnert fühlt. Gander hat eine tolle Bass-Stimme, der man beim Mix ein wenig Raum geben hätte können, insgesamt ist "Copulate + Populate" aber ein unterhaltsamer Streich, der auch ein Stück ("We Won The World Cup") über die Kämpfe und Krämpfe der britischen Fußball-Nationalmanschaft beinhaltet. Eines der schönsten Stücke der CD ist die ins Englische übertragene Cover-Version von "Besa-me mucho", bei Steve Gander heißt es: "Kiss me, from Newcastle to Dover" - und ein wenig schwingt da die Sehnsucht des im Exil Lebenden mit. (jpl)

>> www.stevegander.com

19 Dezember, 2008

Benjamin Skinner: "Menschenhandel" (Lübbe)

Der amerikanische Journalist Benjamin Skinner hat ein beeindruckendes wie erschütterndes Buch zum Thema Menschenhandel geschrieben. Vor kurzem ist es auch auf Deutsch erschienen.

27 Millionen Menschen sind nach Schätzungen des internationalen Sklavereiexperten Kevin Bales heute von modernen Formen von Sklaverei betroffen - sie schuften in Schuldknechtschaft, werden gezwungen und ausgebeutet und oftmals mittels Scheinverträgen in die Falle der Sklaverei gelockt. 27 Millionen Menschen - das ist mehr als beim transatlantischen Sklavenhandel zwischen Afrika und Lateinamerika ab dem Ende des 15. Jahrhunderts. Mit Menschenhandel werden jährlich rund 27 Milliarden Euro verdient - mehr als mit Drogen oder Waffen.

Wien, Haiti, New York City

Sklaven gibt es heute in der ganzen Welt, in Europa genauso wie in den Vereinigten von Amerika, in Wien wie New York City: Dort arbeitet der Journalist Benjamin Skinner, der sich 5 Jahre lang auf die Suche nach dem heutigen Menschenhandel gemacht hat: Seine erste Station ist dabei Haiti, dort spricht er mit einem Sklavenhändler auf Haiti, für einen Ausländer kostet ein Mensch 100 Euro. Nach kurzen Verhandlungen steht der Preis bei 50 Euro. Skinner begibt sich nach Südost-Europa, nach Rumänien und Moldawien, einem der Zentren europäischer Sexsklavinnen.

1 Mensch: 50 US-Dollars...

Haiti liegt 5 Reisestunden südlich von New York City und 2 von Miami Beach entfernt, ähnliches lässt sich von Zentraleuropa aus gesehen auch für Moldawien konstatieren. In den U.S.A. hat Bill Clinton im Jahr 2000 immerhin eine Deklaration unterzeichnet mittels der sich die U.S.A. dem Kampf gegen Sklaverei offiziell verschreiben. Freilich gibt es nach wie vor auch in den U.S.A. Sklaven: Auf den Feldern Kaliforniens, genauso wie in der U-Bahn in New York, wo blinde MexikanerInnen dazu gezwungen werden billigen Modeschmuck zu verkaufen.

Sorgfältige Reportage

Das Buch ist mehr als 400 Seiten stark und liest sich trotz der daraus zu erwartenden Schwere wie eine spannende Reportage. Skinner arbeitet journalistisch sorgfältig und liefert beste Arbeit ab. Er zeigt nachdrücklich, dass Sklaverei kein Phänomen der Vergangenheit ist. Sklaverei ist Gegenwart - und trotz mehrerer Deklarationen und der offiziellen Abschaffung in eigentlich allen Ländern der Welt (in Mauretanien im Jahr 1980) gibt es heute weltweit mehr Sklaven als je zuvor. Benjamin Skinner belegt dies mit seinem Buch "Menschenhandel" auf beeindruckende und erschütternde Weise. (jpl)

Benjamin Skinner: "Menschenhandel" (Gustav Lübbe: Bergisch Gladbach: 2008)
>> www.luebbe.de

Tim Krohn: "Warum die Erde rund ist" (Eichborn)

Ein Lesebuch für Kinder und Erwachsene.

Schöpfungsmythen erzählen, wie die Welt so geworden ist, wie sie heute ist. Egal ob Maori (Neuseeland), Mande (Afrika) oder Yuma-Sioux (Nordamerika): Indigene Gruppen auf der ganzen Welt haben ihre eigenen Mythen zur Entstehung der Welt. Wie die Ainu (Japan) sich die Erschaffung der Welt vorstellen, erzählt Krohn so nach: "Am Anfang war die Welt ein verschlammter Tümpel, alles war kalt, verlassen, nichts regte sich. Dann formte der Erfinder eine Bachstelze, damit sie hinunterflog und die Erde machte."

Lesebuch, nicht nur für Kinder

111 dieser Erzählungen hat der in Nordrhein-Westfalen geborene und in der Schweiz aufgewachsene Autor Tim Krohn gesammelt und im vorliegenden Band neu erzählt. Krohn bedient sich dabei zweier Figuren - Elisa und Annina -, die er selbst kreiert. Den beiden werden die Mythen gleichsam vorgelesen, sie kommentieren diese und führen sie auch gleichsam in ihre eigene Realität über. So hat Krohn ein Lesebuch geschaffen, dass nicht nur in die Adventzeit passt, sondern das ganze Jahr hindurch der geeignete Vorlesestoff für Kinder ist.

Schweizer Märchen und Schöpfungsmythen

Das Buch wurde von Kat Menschik schön illustriert, in einfachen und klaren - an Holzstiche erinnernde - Zeichnungen, verpackt ist es in einem bunten Hardcover. Vor den Schöpfungsmythen der Welt hat sich Krohn mit Schweizer Märchen beschäftigt und diese nacherzählt - dieses Buch war in der Schweiz ein Bestseller und wurde auch in Bühnen- und Hörfassungen umgesetzt. (jpl)

Tim Krohn: "Warum die Erde rund ist. 111 Schöpfungsmythen, gesammelt und neu erzählt von Tim Krohn, illustriert von Kat Menschik." 188 Seiten. (Eichborn: Frankfurt am Main: 2008), €16,95

>> www.eichborn-berlin.de

10 Dezember, 2008

Heather Nova: The Jasmine Flower (Sony)

Auf ihrer neuen Scheibe zeigt Heather Nova ihre gewohnten Qualitäten: Diese Stimme ist wärmer als so mancher Sonnenstrahl im Frühling. Beim melancholischen Titelstück The Jasmine Flower bekommt Nova eine Extraportion Hall verpasst. Zu weit weg und zu unerreichbar ist die Liebe wieder einmal: "If you wanna reach me, just feel the sun in your face", heißt es da. Die neue Scheibe ist – im Vergleich zu früheren Werken – noch eine Spur zerbrechlicher und zurückhaltender. Das mag an den dominierenden und akustischen Gitarren und Streichern liegen: Dafür hat sich Nova ein Streichquartett geholt, alle Lieder stammen aber wie selbstverständlich von ihr, das gilt sogar für die Zeichnungen im Inneren des Booklets. Doch am Ende schaltet Nova einen Gang höher und es läuft der zur Jahreszeit passende Ohrwurm "Always Christmas". Amy McDonald hat gezeigt, dass man mit solchen Liedern in Österreich gar die Hitparade anführen kann – man wird sehen, wie weit die Reise für Heather Nova geht. (jpl)

01 Dezember, 2008

Ólafur Arnalds: Variations Of Static (Brased Tapes Records)

Eine ruhige Show zieht der Isländer Ólafur Arnalds mit "Variations Of Static" ab: Seine in Heimarbeit produzierte CD liefert eine unter die Haut gehende Mischung aus Elektronik, Piano und Streichern - und lädt zum völligen Ausspannen ein. Während Island Bankrott geht, Obama Präsident wird, Aktienindices nach unten korrigieren und Österreich gegen Färöer nur 1:1 spielt. Auch wenn dort auf den Inseln im Atlantik - irgendwo zwischen Schottland, Norwegen und Island - ebenfalls Entspannung mit im Spiel gewesen sein dürfte, raten wir zur fein gesponnen und stets dezenten CD von Arnalds. Diese demonstriert wunderschön, dass die wahre Kraft in der Ruhe liegt und sich die Welt abseits davon so drehen soll, wie sie sich eben dreht. (jpl)